Das Märchen von Hänsel und Gretel

"Interpretation eines alten, bekannten Märchens aus Anlass der gegenwärtigen Kontroverse um die Umwidmung der Hildegardskirche."

von Ursula Ochs-Steinfeld

Die Dramaturgie der Märchen basiert in der Regel auf dem Gegenüberstehen zweier Mächte:

Gut gegen Nicht-gut / tumbe Folgsamkeit gegen sinnvolle Auflehnung / kluge Voraussicht gegen zu kurz gedachte Vorteilsnahme / Armut gegen Reichtum / Empathie gegen Sturheit und , und, es könnte diese Reihe fortgesetzt werden. In erzählten Bildern werden realistische Situationen des Lebens gezeigt wie sie uns im täglichen Miteinander ständig begegnen.

Nehmen wir als Beispiel das bekannte Märchen von „Hänsel und Gretel“!

Ein Elternpaar ist in Geldnöten, steht täglich vor der Frage: wie können wir unsere beiden Kinder ernähren? Sie finden - wenn auch schweren Herzens – einen Weg: die Kinder werden fortgeschickt. Wenn sie nicht mehr da sind, bauchen wir sie auch nicht mehr zu ernähren.

Die Kinder sind allein gelassen, sind auf der Suche nach Nahrung und Heimat. - Und genau darauf wartet jemand, denn die Situation dieser Verstoßenen kann er zu seinen Gunsten nutzen: die Kinder werden mit Süßigkeiten gelockt, vereinnahmt von einer gierigen Macht (im Märchen von einer Hexe). Die Kinder, gut aufgefüttert, sind eine willkommenen Gelegenheit, den eigenen Hunger zu befriedigen – sie sollen verspeist werden, dann existieren sie einfach nicht mehr.

Hänsel und Gretel aber geben nicht auf. Ihr elementares Bedürfnis, befreit zu werde, nicht „aufgefressen“ zu werden, hilft ihnen aus der Not: klug besiegen sie das gierige Verlangen der hungrigen Hexe. Sie finden sogar wieder nach Hause. Dort haben die Eltern längst ihren Fehler erkannt, sie sind glücklich, ihre Kinder wieder zu haben.

Wie fast alle Märchen endet auch das von Hänsel und Gretel gut: Überlebenswille, Klugheit und Tatkraft führen zum guten Ende. – soweit im Märchen! Bleibt man bei dem Vergleich Märchen – reale Lebenssituationen, so zeigt sich erfahrungsgemäß: das erhoffte gute Ende ergibt sich nicht immer, es stellt sich statt dessen schmerzliche Enttäuschung ein.

Frage. Lässt sich die Essenz dieser Märchenerzählung nicht anwenden auf eine reale Situation in unserer Stadt?